Fachartikel HEV

Das Fertighaus – fertig gedacht

    Bauen – Kaufen ab Katalog, wie in der Automobilbranche, und danach nur noch einziehen, so stellt sich dies der künftige Hausbesitzer vor. Erfahrungsgemäss hat auch der Fertighauskauf seine Tücken, und es lohnt sich, vor dem Kaufentscheid genau hinzuschauen.

     

    Mögliche Vorteile eines Fertighauses liegen auf der Hand: Durch das wiederholte Erstellen eines Haustyps kann der ganze Planungs- und Erstellungsprozess optimiert werden. Bauteile werden standardisiert und vorfabriziert, der Bauprozess ist damit gut kontrollierbar, und mit jedem erstellten Fertighaus sinken die Planungskosten pro Einheit. Das Angebot an Fertighäusern ist gross. Geworben wird vor allem mit tiefen Festpreisen. Doch wie prüft und vergleicht man diese Angebote? Was, wenn man doch etwas Individualität wünscht? Welche vertraglichen Themen sind zu beachten?

     

    ANGEBOTE PRÜFEN UND VERGLEICHEN
    Preisangebote für Fertighäuser beziehen sich in der Regel auf das Fertighaus selbst. Der zu erwartende Endpreis setzt sich jedoch aus weiteren Kosten zusammen. Zu ihnen gehören neben den Grundstücks- und Erschliessungskosten beispielsweise auch Bewilligungs- und Anschlussgebühren. Oft beinhaltet das Grundangebot keinen Aushub sowie keine Unterkellerung und Umgebungsarbeiten. Diese über das Grundangebot hinausgehenden Kosten sind schnell genauso hoch wie das Grundangebot selbst.
    Neben dem Angebotsumfang ist auch die Qualität der einzelnen Bauteile und der Gesamtkonstruktion zu bewerten. Um bei der Funktionstüchtigkeit sowie den Unterhalts- und Betriebskosten unliebsame Überraschungen zu vermeiden, sind diverse Punkte zu klären: beispielsweise der Aufbau der Aussenhülle, wesentliche Konstruktionsdetails, der zu erwartende Energiebedarf, Ausbaustandards bei Küche und Sanitärräumen und die Beschaffenheit der Oberflächen von Boden, Wand und Decke.

     

    ARCHITEKTONISCHE VIELFALT
    Heute können Kunden aus einer Vielzahl von «Stiltypen» wählen. Da gibt es nicht nur die zeitgenössischen Typen, sondern auch das Landhaus, das Blockhaus oder sogar die amerikanische Südstaatenvilla mit dorischen Säulen. Entsprechend sind bei der architektonischen Qualität erhebliche Unterschiede festzustellen, und es werden nicht selten die individuellen Vorstellungen der Käuferschaft stärker gewichtet als eine zeitgemässe ortsbauliche Einordnung der Wunschhäuser. Mit der Standardisierung sollte aber diese wichtige gesellschaftliche Verantwortung der Architekten und letztlich auch der Bauherrschaft nicht einfach ausgeblendet werden. Die Bewilligungsbehörden haben hier eine wichtige Kontrollfunktion, die aber insbesondere in wenig professionalisierten, kleineren Gemeinden manchmal kaum wahrgenommen wird. Eine Folge davon ist die in manchen Einfamilienhausquartieren festzustellende unbefriedigende Mischung historisierender und zeitgenössischer Baustile.

     

    INDIVIDUALITÄT KOSTET
    Obschon sich die meisten Anbieter bei individuellen Anpassungswünschen der Bauherrschaft sehr flexibel zeigen, treiben die Anpassungen – und dabei insbesondere zu spät angemeldete Änderungen – den Werkpreis rasch in die Höhe. Damit wird aber die Grundidee eines Fertighauses «untergraben», und der finanzielle Aufwand nähert sich schnell dem eines individuellen Architektenhauses. Wenn sich die Bauherrschaft aus Kostengründen für ein Fertighaus entschieden hat, heisst günstig bauen in diesem Fall, sich möglichst auf das Grundangebot des Herstellers zu beschränken.

     

    VOR DEM KAUFENTSCHEID
    Ist eine Vorauswahl erfolgt, empfiehlt es sich, eine sinnvolle Anzahl gebauter Referenzobjekte des Anbieters zu besichtigen. Am besten geschieht dies in Anwesenheit der Eigentümer. So können deren Erfahrungen aus erster Hand erfragt werden.
    Bewilligungsbehörden sind aufgefordert, neben der bereits erwähnten architektonischen Einordnung auch die Einhaltung der baugesetzlichen Rahmenbedingungen wie beispielsweise Grenzabstände oder Gebäudehöhen zu prüfen. Fertighäuser müssen hier die gleichen Kriterien wie individuelle Architektenhäuser erfüllen. Der Kauf eines Fertighauses sollte daher zwingend vom Erhalt einer rechtskräftigen Baubewilligung abhängig gemacht werden. Tritt diese Rechtskraft nicht innert der im Vertrag vorgängig festgelegten Frist ein, muss der Käufer ohne Kostenfolgen vom Kaufvertrag zurücktreten können.
    Bei einem Fertig- oder Typenhaus wird meist ein Totalunternehmervertrag abgeschlossen. Dieser beinhaltet, im Unterschied zum Generalunternehmervertrag, neben sämtlichen Bauleistungen auch alle Planungsleistungen. Im sogenannten TU-Werkvertrag sollten nicht nur der Werkpreis inklusive der Baunebenkosten aufgenommen werden, sondern auch vertragliche Absicherungen wie z. B. Termin- und Kostenüberschreitungen, Ausführungsgarantien, Bauhandwerkerpfandrechte etc. Oft sind die Vertragsentwürfe der Anbieter etwas einseitig zu Ungunsten der Käufer ausgelegt.
    Der Werkvertrag sollte sich weiter auf die Norm 118 des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA), die allgemeinen Bedingungen für Bauarbeiten, abstützen. Damit ist sichergestellt, dass die Realisierung und insbesondere die Garantieleistungen nach Schweizer Standards geregelt sind. Dies ist vor allem auch bei ausländischen Anbietern wichtig.

     

    EINE ECHTE ALTERNATIVE
    Wenn die eigenen Wohnwünsche im vorgegebenen Rahmen eines Fertighauses erfüllt werden können und alle baurechtlichen wie auch vertraglichen Belange geregelt sind, kann das Fertighaus eine echte Alternative zum individuellen «Architektenhaus » sein, da klug ausgeschöpfte Rationalisierungsmöglichkeiten meist kostenmässige Vorteile bringen.
    Dennoch gilt es auch beim Fertighaus, vor dem Kaufentscheid alle Rahmenbedingungen gründlich zu klären und die Vertragsgrundlagen von einer Fachperson überprüfen zu lassen.
    Text: Pascal Lutz

     

    Fachartikel als PDF: HEV 13/2016