Kauf eines bestehenden Wohneigentums
Fachartikel HEV

Kauf eines bestehenden Wohneigentums

    Der Kauf eines bestehenden Hauses oder einer Eigentumswohnung führt meist zu grossen Unsicherheiten. Viele potenzielle Käufer stossen, sobald sie sich in diese Thematik vertiefen, auf «Schauergeschichten»  über versteckte Mängel, vernachlässigten Unterhalt oder generell arglistiges Verhalten der Verkäuferschaft. Diese Angst kann aber mittels gezielter Abklärungen meist relativiert werden.

     

    Der Kauf eines bestehenden Objekts hat gegenüber dem heute weitverbreiteten «Kauf ab Plan», also dem Kauf eines noch nicht gebauten Projekts, einen entscheidenden Vorteil: Das Objekt lässt sich vorgängig besichtigen. Damit können die meisten Risiken eines Kaufs einigermassen verlässlich eingeschätzt und nötigenfalls auch quantifiziert werden.

     

    BEURTEILUNG DER BAUSUBSTANZ
    Bestehende Liegenschaften werden daher, ähnlich wie beim Kauf eines Occasionsfahrzeugs, meist «wie gesehen» verkauft und allfällige Garantieansprüche, soweit rechtlich zulässig, vertraglich wegbedungen. Es ist daher unbedingt zu vermeiden, hier aus Höflichkeit oder «blindem» Vertrauen in die Vorbesitzer auf eine systematische Beurteilung der Bausubstanz zu verzichten. Die Tatsache, dass Sie sehr genau hinschauen und sich nötigenfalls auch von professioneller Seite beraten lassen, zeugt davon, dass es Ihnen mit dem Kauf ernst ist und muss nicht als Misstrauensvotum verstanden werden.
    Nach unserer Erfahrung fühlen sich Hausbesitzer, welche nichts zu verbergen haben und ihrer Liegenschaft stets Sorge getragen haben, dadurch in keiner Weise provoziert. Oftmals sind der Stolz und die Genugtuung des Eigentümers spürbar, wenn der Experte in dessen Anwesenheit ein positives Fazit über den Gesamtzustand der Verkaufsliegenschaft ziehen kann. Solche Eigentümer sind meist auch problemlos in der Lage, Belege der in den letzten Jahren getätigten Unterhalts- und Erneuerungsmassnahmen vorzulegen, falls der visuelle Eindruck dies nicht schon ausreichend belegt.
    Eine Liegenschaftsbeurteilung erfolgt aufgrund einer visuellen Kontrolle im Rahmen einer Kurzbesichtigung, stellt jedoch keine detaillierte Substanz- und Zustandsanalyse dar. Eine detaillierte Analyse erfordert meist gezielte Sondagen an einzelnen Bauteilen, welche in der Regel nicht zerstörungsfrei möglich sind. Ein Experte kann dank seines Fachwissens auch aufgrund optischer Indikatoren allfällige Mängel erkennen oder auf notwendige vertiefte Abklärungen hinweisen. Übermässige Sanierungskosten können damit meist schon vor dem Kauf erkannt und budgetiert werden. Auch mit einer Besichtigung durch den Experten bleibt aber ein Restrisiko für allfällige versteckte Mängel. Ein Verkäufer kann für Mängel, welche er «arglistig» verschwiegen hat, zwar haftbar gemacht werden. Solches ist aber in der Praxis erfahrungsgemäss sehr schwierig nachzuweisen.

     

    KAUFPREIS
    Zur Beurteilung des Kaufpreises lohnt sich der vergleichende Blick in das aktuelle Immobilienangebot der Region. Zahlreiche Online-Portale bieten hierfür eine gute Übersicht. Die Altersentwertung oder ein allfällig aufgestauter Unterhaltsbedarf muss im Kaufpreis wertmässig berücksichtigt sein, d. h. Altbauten verfügen unter «normalen» Marktbedingungen über einen Preisvorteil gegenüber vergleichbaren Neubauten. Zur Beurteilung oder Plausibilisierung des Kaufpreises kann sich eine vergleichende Marktpreisschätzung, auf Basis einer entsprechend umfassenden Datenbank, lohnen. Diese kann, unter Eingabe der relevanten Kennzahlen, auch direkt online berechnet werden. Auch die Fremdfinanzierer stützen für die Beurteilung des zu finanzierenden Kaufobjekts häufig auf solche sogenannten hedonistischen Schätzungsmethoden ab und verfügen meist auch über einen Direktzugriff zu derartigen Datenbanken.

     

    KAUFVERTRAG
    Beim Kaufvertrag ist insbesondere auf die Absicherung der oft erheblichen Grundstückgewinnsteuer des Verkäufers, welche in den meisten Kantonen geschuldet ist, zu achten. Da für diese Steuerschuld ein Grundpfandrecht der Steuerbehörde besteht, kann bei einer allfälligen Schuldigkeit des Verkäufers der neue Eigentümer des Grundstücks belangt werden. Eine Absicherung, idealerweise mittels einer Direktzahlung des mutmasslichen Steuerbetrags auf ein Konto des Steueramts, ist daher dringend zu empfehlen.
    Bei einer bestehenden Stockwerkeigentumseinheit sollte der potenzielle Käufer in sämtliche bisherigen Versammlungsprotokolle der Stockwerkeigentümergemeinschaft Einsicht nehmen. Der Honoraraufwand eines Baufachexperten für die Prüfung des Kaufvertrags und sämtlicher zur Beurteilung erforderlichen Vertragsgrundlagen und Liegenschaftsdokumente – allenfalls gleich verbunden mit einer gemeinsamen Besichtigung des Kaufobjekts – ist in Relation zum Kaufpreis und Risikopotenzial meist gut investiertes Geld. Dies nicht zuletzt, weil der Kauf einer Immobilie für viele das «grösste Geschäft ihres Lebens» ist. Die professionelle Prüfung ermöglicht eine bewusste Risikoabschätzung, was viele Käufer auch in Anbetracht der eingangs erwähnten Schauergeschichten bereits ruhiger schlafen lässt.
    Text: Pascal Lutz

     

    Fachartikel als PDF: HEV 15/2016