Fachartikel HEV

Bauabnahmen – worauf zu achten ist

    Neubau – Die Bauabnahme ist aufgrund ihrer Wirkung für Garantiefristen und Haftungsfragen bei Mängeln ein wesentlicher, nicht zu unterschätzender Meilenstein im Bauprozess.

     

    Die Bautätigkeit in der Schweiz läuft auf Hochtouren. Preis und Zeitdruck sind allgegenwärtig. Gleichzeitig ist immer wieder von Baumängeln respektive von der Verantwortungsfrage bei deren Behebung zu lesen. Innerhalb dieses Spannungsfeldes nimmt die Bauabnahme, welche die Vertragserfüllung durch den Unternehmer überprüfen soll, eine wichtige Rolle ein. Sie ist weit mehr als nur eine Formalität, bei welcher der Ersteller die Hausschlüssel und einen Blumenstrauss überreicht.

     

    RECHTE UND PFLICHTEN
    Bei Bauabnahmen geltende Rechte und Pflichten sowie Haftungsfragen bei Mängeln sind an verschiedenen Orten beschrieben. Dabei nimmt  das OR den Bauherrn stärker in die  Pflicht als die entsprechende Norm 118 des Schweizerischen Ingenieur- und  Architektenverbandes (SIA). Aus  diesem Grund empfiehlt es sich, in  Kauf- oder Werkverträgen die Anwendung  der SIA-Norm 118 zu vereinbaren.
    Im Gegensatz zum OR fordert die  SIA-Norm 118 den Unternehmer (hierzu gehören auch General- und Totalunternehmer)  explizit auf, dem Bauherrn die Vollendung seines Werkes anzuzeigen. Danach ist die Bauherrschaft verpflichtet, das Werk des Unternehmers  innert eines Monats nach  Anzeige auf die Erfüllung der vertraglich vereinbarten Anforderungen hin zu prüfen. Wird ein Werk nach der Vollendung ohne Abnahme in Gebrauch genommen oder nach der Fertigstellung nicht unverzüglich durch den Bauherrn geprüft, so gilt dieses nach OR stillschweigend als mängelfrei abgenommen. In der SIA-Norm 118  gilt dies erst einen Monat nach der Ingebrauchnahme. Mit der erfolgten Abnahme geht das Werk in die Verantwortung der Bauherrschaft über. Gleichzeitig beginnen die Laufzeiten der Garantie- und Verjährungsfristen für Mängelrechte.
    Die Bauherrschaft kann die Abnahme des Werkes nur dann zurückstellen, wenn es mit wesentlichen Mängeln behaftet ist, welche den Nutzungszweck des Werkes verunmöglichen oder in unzumutbarer Art erschweren. Sind die Mängel unwesentlich, ist die Bauherrschaft verpflichtet, das Werk unter schriftlicher Festhaltung dieser Mängel zu übernehmen und für die nachfolgende Mängelbehebung Hand zu bieten. Während im OR der Bauherr beweisen muss, dass ein Mangel vorliegt, ist es in der SIA-Norm 118 der Unternehmer, welcher die Mängelfreiheit darzulegen hat.

     

    EMPFEHLENSWERTE UNTERLAGEN
    Zum Zeitpunkt der Bauabnahme sollten behördliche Abnahmen (z. B. Bau- und Feuerpolizei) sowie Inbetriebnahmen von Haustechnikelementen erfolgt und schriftlich dokumentiert sein. Grundlage für die zu überprüfende Vollständigkeit, Mängelfreiheit und Termintreue des Werkes bilden der Kauf- oder Werkvertrag und der ihm zugrundeliegende Baubeschrieb. Bei der Bauabnahme sollte auch eine möglichst vollständige und aktuelle Bauwerksdokumentation vorliegen. Diese beinhaltet neben den oben erwähnten Dokumenten auch Betriebs- und Wartungsanleitungen für technische Anlagen sowie Unternehmerlisten, Garantiefristen und Garantiescheine. Da vollständig nachgeführte Revisionspläne bei der Abnahme oft noch nicht zur Verfügung stehen, ist sicherzustellen, dass diese nachgeliefert werden.
    Auch die beste Planung kann nicht verhindern, dass gewisse Bau- und Anlageteile (z. B. Kanalisation, Armierungen, Sanitär- und Lüftungsinstallationen) nach Vollendung des Werkes nicht mehr eingesehen respektive geprüft werden können. Für die spätere Beweissicherung empfiehlt es sich, hier gut dokumentierte Zwischenprüfungen (z. B. mit Fotos) durchzuführen. Doch Vorsicht: Werden diese Zwischenprüfungen als «Teilabnahmen» bezeichnet, beginnen die Garantiefristen bereits von diesem Zeitpunkt an zu laufen und nicht erst ab der Schlussabnahme. Um sicher zu gehen, empfiehlt es sich, den Start der Garantiefristen aller Gewerke vertraglich an die Schlussabnahme zu koppeln.

     

    DURCHFÜHRUNG DER ABNAHME
    Die Abnahme nach OR hat der Bauherr alleine durchzuführen. Gemäss SIA-Norm 118 haben der Unternehmer und der Bauherr eine gemeinsame Bauabnahme zu vollziehen. Dabei sind sichtbare Mängel möglichst präzise in einem Abnahmeprotokoll oder in einer Mängelliste festzuhalten. Gleichzeitig sind angemessene Fristen für die Mängelbehebung festzulegen. Am Ende sind das Abnahmeprotokoll und die Mängelliste von den Vertragsparteien zu unterschreiben. Welche Bau- oder Anlageteile wie geprüft werden und welche Toleranzen gelten, erfordert Fachwissen und Erfahrung. Hier kann sich der Zuzug einer entsprechenden Fachperson lohnen. Sie unterstützt die Bauherrschaft nicht nur bei der Erkennung von Mängeln und der Durchsetzung von entsprechenden Einträgen im Abnahmeprotokoll, sondern auch bei der nachfolgenden fachgerechten Mängelbehebung selber.

     

    FRISTEN UND SICHERHEITEN BEI MÄNGELN
    Gemäss der SIA-Norm 118 gilt ein Werk erst dann als mängelfrei, wenn alle an der Abnahme festgestellten Mängel behoben sind. Im Gegensatz zum OR ist in dieser Norm auch festgehalten, dass offenkundige Mängel noch bis zwei Jahre nach der Abnahme des mängelfreien Werkes und verdeckte Mängel bis Ende des fünften Jahres nach der Abnahme gerügt werden können. Zu beachten gilt auch, dass abgegebene Garantiescheine die Mängelhaftung nicht automatisch sicherstellen. Garanten oder Solidarbürgen schliessen explizit Leistungen für Mängel aus, welche anlässlich der Abnahme bereits bestanden haben.
    Zusammenfassend empfiehlt es sich, Bauabnahmen auf die SIA-Norm 118 abzustützen sowie seriös und professionell durchzuführen. Die Hausschlüssel und den Blumenstrauss wird Ihnen der Unternehmer sicherlich auch so gerne überreichen.
    Text: Martin Boda

     

    Fachartikel als PDF: HEV 14/2012